Der Wille zur Macht als unbedingte Herrschaft der rechnenden Vernunft. Heideggers Sein als das Andere, als von den weltlichen Erscheinungen abgekoppelter Ursprung. Die Sackgasse der Seinsvergessenheit führt zur totalen Verwertung. Alles wird zum Rohstoff - auch der Mensch. Die Entfremdung des neuzeitlichen Menschen als wesentliche Tiefendimension der Geschichte. Heideggers Scheitern evoziert die nicht-ursprungsphilosophische dialektische Alternative: das Sein als kategorielles Sein des Seienden.



5.) Heideggers Scheitern evoziert die nicht-ursprungsphilo-sophische dialektische Alternative: das 'Sein' als kategoriel- les 'Sein des Seienden'.




Heidegger versucht, die Metaphysik zu verlassen. Er sieht in der Gegenwart das folgerichtige ’Ende der Philosophie’ und damit für uns die Aufgabe eines ’Anfangs des Denkens' - er will den Schritt zurück. Ursprünglich ist das ’Es’, das Sein und Zeit gibt. Das Sein ist nicht die letzte Instanz, sondern eine Gabe. Damit überschreitet man die Philosophie, die selbst zu einer Gabe aus dem Ungedachten wird.:


„Aber zweifellos hat Heidegger mit dem Schritt zurück mehr im Auge: Er möchte auch die Bewegungsart seines Den- kens auf einen einheitlichen Begriff bringen. Die weitergehende Intention kann sich darauf stützen, dass schon das Vorgehen von Sein und Zeit eigentlich ein Zurückgehen war, zum Beispiel vom Ich auf das Selbst. Damals wurde auch schon praktiziert, was die Entgegensetzung von Aufhe- ben und Schritt zurück mitmeint: Aufheben ist eines ins Höhere, einen Erheben, welches das Niedrigere zugleich aufbewahrt. Hingegen soll der Schritt zurück nichts von dem mitnehmen, das er hinter sich lässt, wenn er auch dessen verborgene Wurzeln freilegt. Wofern er im Felde der Geschichte des Denkens getan wird, landet er "nicht im schon Gedachten, sondern in einem Ungedachten, von dem her das Gedachte seinen Wesenszug empfängt" (27). ". (28)

27.) Heidegger, Martin, Identität und Differenz, Pfullingen 1957, S. 44
28.) Theunissen, Michael, Dialektik der Endlichkeit. Hegel von Heraklit bis Derrida, in: Dialektik und Differenz. Festschrift für Milan Prucha, Hrsg. Jubara, Anett und Benseler, David, Harrassowitz Verlag, Wiesbaden 2001, S. 64/65




So ist das Selbst ganz anders beschaffen als das Ich, dem es doch zugrunde liegt. Schon hiermit war vorgezeichnet, dass erst recht der späte Heidegger den von ihm gesuch- ten Grund allem dialektisch Denkbaren entrückt.“ (29)

29.) Ebd. S. 65



Heidegger will tiefer als die Philosophie denken. Sein entrückter Grund ist mit der kritisch-kategoriellen Vorgehens- weise der Philosophie nicht vereinbar. Somit sind zwei gegensätzliche Inter- pretationen seines Weges möglich: entweder es gelingt ihm, konsequent tiefer als die Philosophie zu denken oder aber er scheitert im Hinblick auf die Philosophie.

Wenn Heidegger auch im Hinblick auf die kritisch-kategorielle philosophische Programmatik scheitert, so ist sein Denken dennoch nicht irrelevant. Und dies nicht nur in den Details. Wie er scheitert, der Weg seines Scheiterns, ist auf seine Weise absolut konsequent und damit philosophisch wertvoll. (30)

Heidegger reduziert die Doppeldeutigkeit der Metaphysik auf die eine Ursprungsdimension. "Jeweils geht das Denken den Schritt zurück.... Sogar Sein und Zeit werden verabschiedet... Die Lichtung des sich verbergenden Bergens": (31) 'Lichtung' und 'Anwesenheit'.

Heideggers Denken ist eine Variante der Ursprungsphilosophie, ein Gegenstück zu einer völlig transparenten Ursprungsphilosophie, wie sie etwa bei Hegel oder auch bei Husserl vorliegt. Heideggers Denken ist parallel zu Hegel und Husserl zwar ursprungsphilosophisch, aber in einem anderen Sinne und in diesem ist sie äusserst konsequent: ‚Hegel und Husserl haben nur das Helle gesehen, nicht das Dunkle, nicht das Offene, aus dem das Helle kommt’

30.) Vgl.: Prucha, Milan, Heidegger und das Problem der Metaphysik, Vorlesung SS 2006,

31.) Heidegger, Zeit und Sein, S. 51
.




Die tragische Blutspur der Geschichte und die äusserste Gefährlichkeit in der heutigen Zivilisationskrise lässt sich kaum mit Hegels ’heller’ fortschritts- optimistischer Konzeption eines sich erkennenden und verwirklichenden Weltgeistes und eines sich in der Geschichte eindeutig progressiv verwirklichenden Vernunft- und Freiheitsprinzips in Einklang bringen - eher schon mit den vielfältigen ’dunklen’ Aspekten in der heideggerischen Konzeption. (32)

32.) Vgl.: Prucha, a.a.O.



Heideggers Konzeption beruht auf der falschen Annahme, dass sich die Metaphysik auf Ursprungsphilosophie zurückführen liesse. Dies ist nicht möglich. Heidegger reduziert ihre 'Doppeldeutigkeit'.


Kant hatte das Problem gestellt, die Kategorien, die bei Aristoteles noch Bestimmungen des ’Seins des Seienden’ waren, als Verstandesbegriffe zu konzipie- ren. Die Kategorien müssen mit der Zeit vermittelt werden - auch das Sein: "Die Schemata sind daher nichts als Zeitbestimmungen a priori" (33) Heidegger hatte den kantischen Schematismus als wichtigste Neuerung der Kritik der reinen Vernunft angesehen.

Gilles Deleuze paraphrasierte Jean Rimbaud: "Ich bin ein anderer". Mein Ich ist durch die Zeit von sich selbst getrennt. Der Entzugscharakter der Zeit ist schon in 'Sein und Zeit’ eine Grunderfahrung. Das ’Es’ ist aus der Art des Gebens zu verstehen: als 'Geschick' und als 'lichtendes reichen'.

Die Zeit hat bei Heidegger den Charakter der 'Verweigerung' und des 'Vorenthalts': "Das Geben, das Zeit gibt, bestimmt sich aus der verweigernd, vorenthaltenden Nähe". Die Anwesenheit gibt in einem komplexen Charakter. Nähe ist verweigernd, vorenthaltende Nähe: Einheit von Helle und Dunkelheit. Es ist also zwischen dem ’Schicken des Seins’ und dem ’Reichen der Zeit’ zu unterscheiden. (34) Das ’Ereignis’ ist nicht nur das ’Schicken’, sondern als dieses auch der ’Entzug’.

33.) Kant, Immanuel, KdrV, B
34:) Vgl.:Heidegger, Zeit und Sein, a.a.O. S. 20




Heidegger reduziert die Doppeldeutigkeit der Metaphysik auf die eine Ursprungs-dimension, auf die Erkenntnis des vorzüglichsten Bezirks, der das Ganze bestimmt, und er vernachlässigt die Erkenntnis des ’Seins des Seienden im Allgemeinen’.

„Gerade für das, was Aristoteles als proton philosophia, als eigentliche Philosophie, Philosophieren in erster Linie, hier anstrebt, hatte man in der nachmaligen Schulphilosophie (Logik, Physik, Ethik) keine Disziplin und keinen Rahmen, in den sie hätte eingefügt werden können: meta ta physika ist der Titel für eine grundsätzliche philosophische Verlegenheit. Diese Verlegenheit wiederum hatte ihren Grund in der Ungeklärtheit des Wesens der Probleme und Erkenntnisse, die in den Abhandlungen erörtert werden. Soweit Aristoteles sich selbst darüber äußert, zeigt sich gerade in der Bestimmung des Wesens der ‚ersten Philosophie’ eine merkwürdige Doppelung. Sie ist sowohl ‚Erkenntnis des Seienden als Seienden’ (...) als auch Erkenntnis des vorzüglichsten Bezirks des Seienden (...), aus dem her sich das Seiende bestimmt.“ (35)

Aristoteles gibt Regeln, die für dieses einzelne Haus, diesen einzelnen Gegenstand, diesen einzelnen Sachverhalt gültig sind. In der ’Kategorienschrift’ wird der wichtigste aristotelische Seinsbegriff, das 'Wesen', als Regel aufgefasst.

Bei Aristoteles ist auch das 'Wesen' zweideutig 1.) als Regel für alle Seiende und 2.) als deren Ursprung. Die Metaphysik ist zweideutig. Die Ursprungsphilosophie in ihrer versuchten Eindeutigkeit führt in eine Sackgasse. Die Fährte Heideggers ist mit dem, was Philosophie bedeutet, nicht vereinbar. Heidegger will tiefer gehen als die Philosophie. Doch dies konnte nicht gelingen.


Jedoch hat Heidegger nicht alle Möglichkeiten ausgelotet. Er hat zwar das Scheitern der Ursprungsphilosophien dargelegt, aber nicht evoziert, dass das Denken des ’Seins des Seienden im Allgemeinen’ auch möglich ist. Er hätte auch nicht-ursprungsphilosophische Denkweisen untersuchen müssen. Eine nicht-ursprungsphilosophische Konzeption ist die Dialektik. (36).

35.) Heidegger, Martin, Kant und das Problem der Metaphysik, Klostermann 1973, S. 7
36.) Vgl. Prucha, a.a.O.




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„Jeder Versuch, den Naturzwang zu brechen, indem Natur gebrochen wird, gerät nur um so tiefer in den Naturzwang hinein.“ Seit langer Zeit versuche ich, politisch-philosophisch gegen die Selbstzerstörung unserer Zivilisation zu agieren und auch täglich zum Augenblicke sagen zu können: „Verweile doch! du bist so schön!" Nur durch intensive Erfahrung sind Menschen und Realitäten fassbar, zeigte mein Austauschjahr in Kalifornien. Der immense Technikfortschritt und barbarische Politikrückschritt liessen mich (statt Mathematik, Physik, Astrophysik etc.) Philosophie, Politik, Psychologie, Amerikanistik, Kunst studieren. Anders als die Schule liebte ich die damals 'freiere' Universität Berlin. Bis heute bin ich dort leidenschaftlich tätig. Seit 76 befasse ich mich mit Computerprogrammierung, später mit MIDI, Grafikprogrammen, Spracherkennung usw. Kreierte Aufsätze, Vorträge, Musik, Kunst, Videokunst, organisierte Ausstellungen, bin mehr als 30 Jahre gesegelt, liebe Natur und Abenteuer, lebte zeitweise auf dem Lande (ökolog. Landbau) und versuche jetzt, zwei allgemeinverständliche, spannend lesbare politisch-philosophische Bücher zu schreiben: Philosophie ist "ihre Zeit in Gedanken erfaßt".